Solidarität im 21. Jahrhundert
Von der Seele reden | Folge 598
Von der Seele reden – der Kommentar von Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Politik- und Medienwissenschaftler und Vorstand der „Stiftung: Christliche Werte leben“.
Jeden Donnerstag um 20:45 Uhr im Radio und bereits vorab hier den ausführlichen Kommentar online hören. Mehr Infos zur Stiftung auf www.christlichewerteleben.de
Mit dem welthistorischen Sieg des Kapitalismus 1990 wurde die Öffnung und die Deregulierung der Märkte zur international maßgebenden Maxime. Und diese Entfesselung der wirtschaftlichen Kräfte wurde durch die Digitalisierung intensiviert. Das ökonomische System hat sich gegenüber dem politischen System verselbstständigt, denn Staaten sind territorial gebunden, während das Kapital ungebunden und mobil agiert. Das führt nicht nur dazu, dass in Bruchteilen von Sekunden Vermögenswerte und Anteile verschoben werden können. Die Finanzwirtschaft verfolgt darüber hinaus das gleiche Ziel wie eine militärische Eroberung. Der Wirtschaftswissenschaftler, Finanzanalyst und Berater an der Wall Street, Michael Hudson, beschreibt es so:
„Der Finanzsektor strebt die Herrschaft über Land und grundlegende Infrastruktureinrichtungen an und will Tribut eintreiben. Das berühmte ´Diktum von Clausewitz` abwandelnd, könnte man sagen: Der Finanzkapitalismus ist zu einem Krieg mit anderen Mitteln geworden. Was früher Blutvergießen und Waffengewalt erforderte, wird heute mit dem Druckmittel der Schulden erreicht.“
Das Weiterso kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten. Das quantitative Wachstum um jeden Preis vernichtet die Ressourcen unserer Umwelt, der Klimawandel und die wirtschaftliche Ausbeutung der Entwicklungsländer führt zu immer größeren Fluchtbewegungen, denen wir nicht gewachsen sind, die Eroberung von immer mehr Freiräumen der Tierwelt führt zu Pandemien, die wir nur noch schwer unter Kontrolle bekommen, der Mittelstand kann kaum noch Eigentum bilden, die Verteilung des Vermögens erinnert an die Zeit vor der Französischen Revolution. Da muss Solidarität auch im 21. Jahrhundert bedeuten, die gravierenden Ungerechtigkeiten zu beseitigen.
In unserer Gesellschaft geht es aber auch darum, die Grenzen der Individualität gemeinsam zu erkennen zugunsten des Respekts vor allen anderen Gruppierungen, die andere Interessen und Einstellungen haben, soweit sie sich mit dem demokratischen Rechtsstaat identifizieren. Es geht um eine andere Kommunikationskultur, aber auch um die Einsicht aller, dass Menschen anders, aber nicht wertvoller sind als andere und es unerlässlich ist, für einen sozialen Ausgleich zu sorgen und die Chancengleichheit endlich zu verwirklichen, gerade im Bildungsbereich.
Wir müssen nachhaltig möglichst vielen Menschen die Absurdität vor Augen führen, mit denen wir die Erde systematisch ruinieren. Ein Wissenschaftstheoretiker hat es eindrucksvoll beschrieben:
„Die ganze Erwachsenenwelt gleicht heute … einer Horde griesgrämiger, alter Affen, die ihr gesamtes Wissen hauptsächlich dazu gebrauchen, aus der Natur Energie und Nahrungsmittel herauszuholen, die gar nicht verbraucht werden können, Reichtümer anzusammeln, die man nicht ins Grab nehmen kann, Waffen zu erzeugen, um anderen etwas wegzunehmen, die weniger besitzen oder gar Not leiden.“
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche und glückliche Woche, aber bitte bleiben Sie achtsam.