Lola rennt.
Faszinierender Gedanke. Man biegt einmal falsch ab und schon wird das ganze Leben auf den Kopf gestellt. So zu sehen im absolut tollen Film „Lola rennt“ von Tom Tykwer mit Franka Potente und Moritz Bleibtreu in den Hauptrollen. Immer dieselbe Ausgangsszene und dann – je nach Sekundenentscheidungen – ein völlig anderer Lebensweg von Lola.
Heute wäre mein Bruder Helmut 71 geworden. Die Ausgangsposition: wir wuchsen gemeinsam auf. Ein Jahr und einen Tag war Helmut älter als ich. Unsere Geburtstage feierten wir immer gemeinsam. Bis zu jenem verhängnisvollen 11. Oktober 1969. Eine Verkettung unglücklicher Umstände – und binnen Sekunden war Helmut tot. Seinen 17. Und meinen 16. konnten wir nicht erstmals nicht mehr gemeinsam feiern.
Er stand mit dem Moped neben der Straße, wollte wieder einfädeln. Das erste Motorrad streifte ihn an der linken Hand. Das Moped bäumte sich auf, Helmut ging über den Lenker, als das zweite Motorrad mit hoher Geschwindigkeit nahte. Es fuhr im über den Brustkorb. Herz-stillstand. Ende der Vorstellung.
Und jetzt kommt Lola ins Spiel. Wenn nicht in dieser Sekunde diese Motorräder genau dort unterwegs gewesen wären. Wenn jemand vor Ort gewesen wäre, der sich in Reanimation ausgekannt hätte. Dann wäre ich vielleicht heute Onkel von einigen Kindern. Hätte eine Schwägerin. Mein Vater hätte seinen Betrieb nicht verloren, Helmut hätte ihn übernommen und erfolgreich weitergeführt.
Geschichten vom ungelebten Leben sind faszinierend – als Gedankenreise. Vielleicht schreib ich doch noch mal ein Buch darüber. Günter – oder Helmut – biegt links ab.